Zwischen Grünkohlsmoothie und Palettenmöbeln

zwischen den Generationen oder mittendrin?
Die Generation Z und ihre Vekehrsformen im Vergleich - ein Blog im Jahr 2017

Gutes Karma – schlechtes Karma

Kraeuter

Als ich heute Morgen entspannt durch meinen Garten schlenderte und mir die Gemüse und die selbstgezogenen Kräuter für meinen Superfood-Frühstückssmoothie zusammensuchte, sinnierte ich kurz darüber, was ich eigentlich vom Leben erwarte.

Nein, Spaß – für ein aufwändiges Frühstück nehme ich mir keine Zeit. Was zur Kategorie Superfood gehört, habe ich in sozialen Netzwerken gegen meinen Willen erfahren und grünes, gemixtes Gemüse halte ich geschmacklich so lange für grenzwertig, wie es nicht von einer deutlich größeren Komponente gemixten Obstes übertönt wird. Der Konsum des letzteren ist außerdem deutlich unkomplizierter, wenn es nicht erst einer aufwändigen Zubereitung unterzogen werden muss. Ich habe die Gewohnheit Äpfel zu essen. Einfach so. Bis zum Kerngehäuse. Und das entsorge ich dann ordnungsgemäß im Biomüll. Bin ich damit nicht mehr zeitgemäß? Würde man die Betreiber der Website ,,Pinterest‘‘ dazu interviewen, wäre die Antwort ein eindeutiges und nachdrückliches ,,JA!‘‘. Ich starte also einen Selbstversuch und beginne mit einer Bestandsaufnahme:

Pinterest – das Eldorado der Jugendkultur

Unter der Leitfrage, wie sich die derzeitige Generation junger Erwachsener Ausdruck verleiht, durchforste ich soziale Netzwerke und beginne meine Recherche – wie sollte es anders sein – auf der Website ,,Pinterest“, deren unterschwelliger Vorwurf der Ahnungslosigkeit immer wieder bei mir anklopft. Bevor ich allerdings mein Interview mit Pinterest durchführen kann, befragt Pinterest mich nach meinen persönlichen Interessen. Dazu werden mir eine ganze Reihe an Vorschlägen zur Auswahl unterbreitet, die sich von Kunst über die Dekoration meiner Wohnung, Ernährung, verschiedene Do-It-Yourself-Projekte bis zum Guerilla Gardening erstrecken. Ich entscheide mich also für verschiedene Themenblöcke, schließe die Registrierung ab und werde unmittelbar von Informationen erschlagen. Bei Pinterest handelt es sich um ein Ideennetzwerk, eine Ansammlung tausender mehr oder minder aussagekräftiger Bildformate mitsamt Schlagzeilen, die mit entsprechenden externen Artikeln verlinkt sind. Letzteres ist die Begründung meiner Auswahl – es gibt bei Pinterest keine Journalisten, die sich mit der Recherche jugendkultureller Trends befassen, sondern das Netzwerk speist sich aus den Informationen, die seine im Jahr 2016 -so das deutsche Statistikportal- rund 100 Millionen Nutzer selbst bereitstellen, beispielsweise indem sie ihre Einträge auf Pinterest jeweils mit ihrem persönlichen Blog verlinken. Pinterest ist Ausdruck dessen, was die Nutzer, deren Großteil sich im Alter zwischen 16 und 34 Jahren befindet , bewegt.

Smoothie

Auch ohne die entsprechenden Artikel aktiv zur Kenntnis zu nehmen, zeichnen sich allein bei Betrachtung der Schlagzeilen gewisse Trends deutlich ab - exemplarisch möchte ich mich der Kategorie Ernährung (immer den nicht pürierten Apfel im Hinterkopf), widmen.

,,Das sieht aus wie Froschlaich und schmeckt nach nichts‘‘

In Sachen Ernährung zeichnet sich ein deutlicher Trend in Richtung Gesundheitsförderung ab und das zeigt sich an vielerlei Stellen – die Innovationen der Nachkriegszeit, Tütensuppen, Fixprodukte und alles was unter der Prämisse produziert wurde, in der Zubereitung bestenfalls fünf Minuten zu beanspruchen (die maximal zähneknirschend akzeptiert wurden), sind buchstäblich vom Tisch. Aber sowas von vom Tisch.

Junge Erwachsene essen keine Astronautennahrung mehr, sondern Superfoods – es geht um Clean Eating (vgl. Larsons&Larsons 2014), also das aktive Vermeiden des Konsums von Nahrungsmittelzusätzen jeglicher Art, back to the roots könnte man behaupten – so mutet es jedenfalls an, befasst man sich mit den Rezepten, die die Pinterest Nutzer dazu veröffentlichen.

Mein Selbstversuch beschränkt sich auf den Einsatz von Chia-Samen zur innovativen Frühstücksgestaltung – ein Superfood, dessen vielbeschriebene Reichhaltigkeit an allen möglichen Vitaminen und Mineralien, meine Gesundheit fördern soll. Schnell lerne ich, obwohl ich die Zubereitungshinweise der Autorin explizit befolge und einen Chia-Pudding produziere, der exakt aussieht wie auf den Bildern der Autorin (abgesehen vom zierendem Beiwerk, dem hübschen Holztisch auf dem er drapiert wurde und diesem unglaublichen antiken Silberlöffel der das Ambiente so stimmig macht), dass meine Abneigung gegen gemixtes grünes Gemüse weit weniger ausgeprägt ist als gedacht. Chia-Pudding sieht aus wie Froschlaich - okay, das finde ich witzig – aber er glibbert und schmeckt ausschließlich nach der Trägerflüssigkeit, die leider an sich keine Geschmacksexplosion darstellte. Mit Zucker in rauen Mengen (und bei der Menge die zur Rettung notwendig war, hätte sich ein Knuspermüsli verschämt in die nächste Ecke gedrängt) schmeckte er letztendlich süß. Fazit: Ziel verfehlt – nicht um Haaresbreite, aber mit Anlauf – und die reumütige Rückkehr zum Apfel vom Anfang, dessen Verbannung aus meinem Frühstücksrepertoire fast schon besiegelt schien, weil die Chia-Samen viel mehr können. Im Kopf entsteht die bohrende Frage, warum junge Erwachsene den Chia-Pudding bevorzugen, wenn es auch aus ernährungsphysiologischer Sicht gleichwertige Alternativen gibt, warum Gesundheit nicht den Stellenwert der Zeiteffizienz einnimmt und warum (vermeintlich) Einfaches durch (vermeintlich) Kompliziertes ersetzt wird – an dieser Stelle rekurriere ich erneut auf den Apfel, der wenn er eben nicht gemixt wird, beispielsweise auch keinen Abwasch produziert, in meiner Tasche nicht auslaufen kann und mich, auch wenn ich ihn kaue, mit den gleichen ernährungsphysiologischen Bestandteilen versorgt, als wenn ich ihn mixe (sofern ich ihn nicht lediglich entsafte).

Machen wir uns nichts vor, die Zeiten der hübsch angerichteten Dosenravioli sind unwiderruflich vorbei

Der Gedanke liegt nahe, dass Ernährung jugendkulturell nicht einfach bloß Ernährung ist, sondern Ausdruck von etwas ganz Anderem – es geht nicht ausschließlich darum, satt zu werden. Es geht darum, ein Arrangement zu treffen, das sich vom Arrangement der anderen unterscheidet oder eben gerade nicht. Es geht auch um den beeindruckenden Silberlöffel auf dem Vintage-Holztisch, der mit jeder seiner Fasern ausdrückt, dass Ernährung etwas ist, dass es zu arrangieren lohnt, sofern sie denn ausreichend ,,hochwertig‘‘ ist, dem Arrangement zu entsprechen. Machen wir uns nichts vor, die Zeiten der hübsch angerichteten Dosenravioli, deren einzig frischer Anteil das einsame Basilikumblatt zur Dekoration war, sind vorbei. Aber es gab sie mal. Und hier nähern wir uns dem springenden Punkt der Diskussion: nicht unsere Geschmacksnerven beendeten die Erfolgswelle der Fertiggerichte, deren Rezeptur vermutlich allenfalls marginalen Änderungen unterlag – es ist unsere Überzeugung. Und damit unsere Sicht auf uns selbst und die Gesellschaft und eben auch wie wir dieser Ausdruck verleihen. Das kann auch bedeuten, dass man Fertigprodukte verschämt heimlich kauft und sie im Verborgenen isst, gleichzeitig sich und den eigenen Lebensstil über SlowFood im öffentlichen medialen Raum vermarktet. Dabei stellt insbesondere die Ernährung ein hochbrisantes Thema dar, denn – wie sollte es anders sein – Menschen müssen irgendetwas essen um nicht an Mangelernährung zu sterben und genau deswegen ist Selbstexpression über das, was wir essen, so zielführend; weil wir das eben täglich tun, ob wir wollen oder nicht und es grundlegend jeden lebenden Organismus betrifft. Die Änderungen der Ernährungsweisen über die Generationen hinweg, zeigen sich also exemplarisch für verschiedene Verkehrsformen – und insbesondere Generation Z, die aktuelle Generation junger Erwachsener, setzt neue Maßstäbe.

Zoodeln Susskartoffeln

XYZ – Intergenerationenkonflikt?

Um zu ergründen, wie es zum Siegeszug des Chia-Puddings (oder eben des Grünkohlsmoothies) und zum scheinbaren Untergang der Dosenravioli kam, lohnt es sich, insbesondere diejenigen anzuschauen, die der Clean Eating-Bewegung ihren Anschub verliehen haben – nämlich Generation Z – die aktuell jüngste Generation, die sich an Babyboomer und die Generationen X und Y anschließt. Weil letztere sozialisatorisch nicht einflusslos für Generation Z sind, beginne ich die Betrachtung nach Ende des zweiten Weltkriegs, noch vor Geburt der Dosenravioli:

Die Babyboomer als Kinder des Wirtschaftswunders

Die Babyboomer, deren Alterskohorte definitorisch die Spanne der 53-71jährigen, also die Geburtenjahrgänge von 1946-1964 umfasst, stellen die Nachkriegsgeneration dar. Würden Preise für den zahlenmäßigen Umfang einer Generation verliehen, gingen die Babyboomer als klare Sieger hervor, historisch betrachtet stellen sie nämlich die umfangreichste Kohorte dar, nach Scholz (2014) sogar die Wohlhabendste aller Zeiten: diejenigen, die vorwiegend politische Ränge besetzt; denen, der wegen des Wirtschaftswunders alle Türen offen standen und diejenigen, die sich aus genau dem Grund zu keinem Punkt mit existentiellen Zukunftsängsten rumschlagen musste. Die klassische Rollenverteilung der Babyboomer, die vom Mann finanzierte Kernfamilie, begann langsam unter dem Einfluss der dritten Emanzipationswelle zu bröckeln. Flapsig könnte man formulieren, dass Frauen es schlicht und ergreifend satt hatten, auf ihre hauswirtschaftlichen Fähigkeiten (die sich bekanntermaßen ja keineswegs am Geschlecht festmachen lassen) reduziert zu werden und sich Arbeit suchten, um unabhängiger zu sein – und da, genau da, liebe Grünkohl-interessierte, setzt der Siegeszug der Dosenravioli, die im Jahr 1958 geboren wurden, an – Frauen gingen zwar vermehrt arbeiten, was aber noch lange nicht bedeutete, dass auch der Haushalt geteilt wurde. Arbeit, Kinder, Kochen, Putzen, Waschen… der Erfolg erklärt sich zusammen mit den historisch erstmals finanziell möglichen Urlaubsreisen eines Großteils der Deutschen nach Italien von selbst, oder?

Generation X als Schlüsselkinder mit Null-Bock

Generation X, die Geburtenkohorte von 1965 bis 1979, ist die erste Generation, die die Emanzipation in ihrer Kindheit zu spüren bekam, ,,Schlüsselkinder“ (vgl. Mangelsdorf 2015, 16) meint an dieser Stelle nämlich nicht, dass ihnen eine besondere Schlüsselrolle zukäme, sondern dass sie bei zumeist zwei arbeitenden Elternteilen nach der Schule, ohne Schlüssel vor der Haustür auf dem Treppenstein hätten warten müssen. Das klassische Familienbild löste sich immer stärker auf, Patchworkkonstellationen entstanden und dysfunktionale Ehen wurden verstärkt geschieden, weil Frauen finanziell unabhängiger wurden. Für die damalige Zeit moderne Unterhaltungsmedien – wer braucht schon Schallplatten, wenn es MTV gibt? – rückten verstärkt auf den Plan, während sich die westliche Popkultur etablierte. Politisch dagegen entstanden vermehrt Unsicherheit und Systemzweifel, kaum verwunderlich, bedenkt man den Watergate-Skandal, das Wettrüsten zwischen Ost und West oder die Ölkrisen. Das Kollektivvertrauen der Wirtschaftswunderkinder war passe. Und selbst der/diejenige, der/die sich für die politischen Entwicklungen an sich nicht interessierte, bekam ihre Auswirkungen zu spüren, beispielsweise über den RAF-Terrorismus, die Challenger-Explosion oder das Tschernobyl-Unglück (Mangelsdorf 2015, 16). Das Wirtschaftswunder war vorbei, der wachsende Reichtum der Elterngeneration wurde immer unerreichbarer und in Anbetracht dessen avancierte der ungebrochene Optimismus der Babyboomer für Generation X zu etwas Untragbarem und Ungeheuerlichem. Generation X ist geprägt von Skepsis gegenüber politischen Versprechungen und verloren in einer Welt, die sich viel schneller dreht als diejenige ihrer Eltern. Trotz ihrer klaren Wertemuster, verhalten sich die „Schlüsselkinder“ hinsichtlich beispielsweise sozialer Ungleichheit oder hinsichtlich des Bildungssystems, das sie stark kritisierten, passiv, was sicher nicht zuletzt daran liegt, dass sie kaum Ideale ausbildeten. Die Perspektivlosigkeit und Zukunftsangst zeigt sich besonders im Versicherungswesen – es gibt praktisch nichts, wogegen Generation X nicht versichert wäre und der Ordner mit den Policen nimmt zu dieser Zeit vermutlich das Volumen des Zertifikate-Ordners von Generation Y ein – dazu aber später mehr. Es wird deutlich, dass Generation X die Gegenströmung ihrer Elterngeneration darstellt (vgl. Scholz 2014). Und das zeigt sich auch an der neuen Produktpalette der Firma Maggi. Waren es zuvor bloß die Dosenravioli, wurden diese um Fix-Produkte erweitert. Damit bediente Maggi nicht ausschließlich die emanzipatorischen Belange, sondern auch die Unsicherheit – wenn nämlich nichts im Leben sicher ist, der Geschmack des Gulaschs ist es, sofern ein bestimmtes Produkt in den Kochprozess involviert wird .

Generation Y und die immerwährende Frage, ob das nun karriererelevant ist

Die Geburtenkohorte von 1980 bis 1995 (vgl. Mangelsdorf 2015) folgt dem Motto ,,Lebe um zu Arbeiten‘‘. Anders als ihre Elterngeneration, die so resigniert war, dass sie ohnehin nicht glaubte, auf dem Arbeitsmarkt eine Babyboomer-Karriere hinlegen zu können und sich deshalb mit weniger zufrieden gab als möglich gewesen wäre, will Generation Y hoch hinaus. Ähnlich wie Generation X hat auch Generation Y ein hohes politisches Interesse, anders als Generation X resigniert Generation Y dabei nicht so sehr, dass alle Kritik am Ende im Sande verläuft und anders als Generation X hat Generation Y weniger den Impuls die Welt zu verbessern als den eigenen Lebenslauf durch politisches Engagement aufzumöbeln oder eine Sprosse auf der Karriereleiter zu nehmen. Generation Y will das erreichen, was für Generation X nicht erreichbar schien (vgl. Scholz 2014). Generation Y sind diejenigen, die die Großraumbüros der amerikanischen Blockbuster bis spät in die Nacht besetzen und gefühlt niemals müde werden, bis sie letzten Endes dem Burnout erliegen, einem schon immer existierenden (Erschöpfungs)Phänomen, das für Generation Y neu nuanciert wurde . Bologna eröffnet Generation Y durch das Bachelor-Master-System die Türen zur Wirtschaft ohne Zeitverlust. Diskussionen über eine (un)günstige Work-Life-Balance kommen im gleichen Zug auf, Maggi treibt die Zeiteffizienz der Nahrungszubereitung mit der 5-Minuten-Terrine auf die Spitze und schafft es erneut einen gesellschaftlichen Trend zu befriedigen – wenn Arbeit der Lebensinhalt ist, kann es nicht Ernährung sein – Essen wird zum notwendigen Übel, in das nicht mehr Lebenszeit investiert wird als notwendig wäre, weil Essen eben nur dann karriererelevant ist, wenn der Chef mit am Tisch sitzt.

Generation Z und die immerwährende Frage ob das nun lebensrelevant ist

Um die Lösung des anfänglichen Rätsels vorwegzunehmen (man denke sich einen Trommelwirbel im Hintergrund): hier kommt der Grünkohl in’ s Spiel! Bei der Frage, wie sich Generation Z von den anderen Generationen differenziert, ist die Antwort nämlich nicht ,,höher, schneller, weiter‘‘, wie sie es bei Generation Y gewesen wäre. Die nach 1995 Geborenen (vgl. Mangelsdorf 2015) schalten in dieser Hinsicht nicht nur einen, sondern gleich drei Gänge zurück. Obwohl die Einstellungen und Wertmuster von Generation Z denen der Generation X sehr stark ähneln, ziehen sie doch andere Konsequenzen daraus: beispielsweise äußert auch Generation Z starke Systemkritik, resigniert aber nicht, sondern involviert sich aktiv in das kritisierte Geschehen – während Generation X zum Beispiel Massentierhaltung kritisierte und Generation Y das Massentierhaltungs-Hühnchen mit heißem Wasser übergoss, um zeiteffizient zu essen, stürmt Generation Z wie ein SEK den Massentierhaltungsbetrieb, um den dabei entführten Hühnern ein artgerechtes Leben zu ermöglichen (Oder aber erleichtert das schlechte Gewissen darüber, es nicht getan zu haben, an der Biosupermarktkasse). Generation Z arbeitet um zu leben und zwar nur in dem Maß, wie sich die Work-Life-Balance auf der Life-Seite einpendelt. Generation Z lebt mit dem Karrierestand, der ein Auskommen und das Umsetzen der eigenen Interessen zulässt – und eben nicht darüber hinausgeht. Und über diesen Lebensstil setzt sich Generation Z von allen anderen Generationen ab (vgl. Scholz 2014). Generation Z nimmt sich die Zeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Deutlich wird das insbesondere an der Ernährung, denn die Dosenravioli sind jetzt endgültig von Healthy Stuff, Functional Food, ökologisch erzeugten Gütern und Superfoods verdrängt worden. Maggi reagiert darauf im Jahr 2013 mit einer großen ,,Qualitätsoffensive“ und entwickelt in den folgenden Jahren eine große Bandbreite an angepassten Produkten um konkurrenzfähig zu bleiben und verrät seinen Kunden mittlerweile sogar, wie Quinoa ganz einfach zubereitet wird .

Der Generationenvergleich – ein statisches Konstrukt?

Habe ich bei der Zubereitung meines Chia-Puddings die Generationen gewechselt? Und wenn ja, nur ganz kurz, bis ich gemerkt habe, wie er schmeckt? Natürlich nicht, Generation Z hat mich, die der Geburtenkohorte Y entspringt, schon viel früher angesteckt. Obwohl sich die Generationen datieren und in sich sehr pragmatisch (diesem Format geschuldet natürlich auch überspitzt) darstellen lassen, lässt sich keine endgültige, idealistische Grenze ziehen. Sozialisation, ungeachtet dessen, ob sie von den Eltern, Großeltern oder Peers ausgeht, hinterlässt immer ihre Spuren und ein Generationenvergleich kann niemals dazu dienen ein Individuum zu charakterisieren. Zeigen sich bestimmte Tendenzen einer Generation, beispielsweise die unausgeglichene Work-Life-Balance der Generation Y, stellt das einen allgemeinen gesellschaftlichen Trend dar – nicht jedes Mitglied dieser Geburtenkohorte versauert freudlos mit Fix-Produkten im Büro. Aber die meisten dieser Generation sind eher bereit die Arbeit nach vorne und private Interessen hinten anzustellen. Nicht jedes Mitglied der Generation Y befürwortet Bologna und involviert sich ausschließlich der Karriere wegen in politische Kontexte – allerdings verhält es sich in dieser Generation deutlich öfter so als davor oder danach.

Die Ideale der Generationen vermischen sich und besonders ansteckend ist Generation Z mit ihren gesellschaftlichen und individuellen Idealen, die sich dank digitaler Medien und den Digital-Natives, die sie einzusetzen wissen, wie ein Virus verbreiten (allerdings nicht wie ein SEK-Kommando, sondern schriftsprachlich argumentierend). Der Optimismus der Generation Z steckt alle anderen Generationen an und ermahnt gleichzeitig zur Achtsamkeit gegenüber sich selbst (vgl. Scholz 2014). Und auch wenn wir letzten Endes keinen Chia-Pudding essen und keine Grünkohlsmoothies mixen, dient uns Generation Z doch immer wieder als Folie zur Selbstreflexion. Und genau das macht die Generationenunterschiede so wichtig und gleichzeitig so wertvoll. Wichtig, weil wir uns aus entwicklungspsychologischer und psychoanalytischer Sicht von unserer Elterngeneration absetzen müssen, um eine eigene Identität entwickeln zu können und nicht der Identitätsdiffusion zu verfallen (vgl. Erikson 1973a, 1973b; Benner 1971); wertvoll, um uns immer wieder einem Perspektivwechsel zu stellen, wenn wir gesellschaftliche Phänomene wahrnehmen. Die Generationenunterschiede dienen uns dazu, uns zu fragen, warum Generation X resignierte, obwohl sie doch so optimistische Eltern hatte, zu reflektieren warum Burnout ein Thema der 1980er und 1990er Jahre darstellt, was die aktuelle Jugendkultur veranlasst, sich derart mit gesundheitsbezogenen Themen auseinanderzusetzen und warum wir das selbst möglicherweise nicht in diesem Ausmaß tun. Diese Reflexion und der daran gebundene Perspektivwechsel dient uns nicht ausschließlich dazu, uns selbst im gesellschaftlichen Kontext wahrzunehmen, sondern auch im Sinne der pädagogischen Professionalität zu interpretieren, warum einige Menschen andere Ideale verfolgen als wir es selbst tun, was bestenfalls verhindert, dass wir Menschen bestimmter Geburtenjahrgänge in eng definierte Schubladen schieben, weil wir nachvollziehen können, warum sich Menschen verhalten, wie sie sich eben verhalten.

Früher war nicht alles besser, nur anders. Und das ist auch gut so.

Die pädagogische Professionalität umfasst nicht den Zwang, Grünkohlsmoothies zu trinken, oder sich über deren Herstellung zu informieren – wie eingangs erwähnt, habe ich alles über Superfoods gegen meinen Willen erfahren – ABER: ein pädagogisch professionelles Handeln erfordert es, Entwicklung wahrzunehmen. An dieser Stelle ist es nicht wichtig, dass ich weiß, wie sich Superfoods definieren, sondern dass ich wahrnehme, dass sich die Ernährungsweisen verändern und dass diese Änderung Ausdruck grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen darstellt, die ich einerseits wahrnehmen, aber auch hinterfragen und nachvollziehen muss, um meinem pädagogischen Auftrag gegenüber der Gesellschaft Rechnung zu tragen.

Der Smoothie ist nicht bloß ein Smoothie, sondern eine Exemplarik für einen weiteren Smoothie, nämlich den aus Demographie, Psychologie, Politik, Idealen, Akzeptanz und Abwehr der letzten 80 Jahre – sozusagen ein pädagogischer Smoothie, einer von vielen pädagogischen Smoothies, die es zu ergründen und zu durchdringen gilt.


Literaturverweise

Larson, Ivy/ Larson, Andrew (2014): 40 Green Drink, Smoothie & Other Superfood Recipes. A CLEAN CUISINE ANTI-INFLAMMATORY DIET COLLECTION. New York: INTERMIX, 13.

Mangelsdorf, Martina (2015): Von Baby-Boomer bis Generation Z. Der richtige Umgang mit unterschiedlichen Generationen im Unternehmen. Offenbach: GABAL.

Scholz, Christian (2014): Generation Z. Wie sie tickt, was sie verändert und warum sie uns alle ansteckt. Weinheim: Wiley VCH.

Erikson, E. H. (1973a): Identität und Lebenszyklus (1. Aufl.). Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Erikson, E. H. (1973b): Kindheit und Gesellschaft. Stuttgart: Klett.

Brenner, C. (1976): Grundzüge der Psychoanalyse. Frankfurt a.M.: Fischer.